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ARCHITECTURAL DESIGN | Bachelor Thesis Project | The space could also be different
DER RAUM KÖNNTE AUCH ANDERS SEIN
_Entwurf einer polysensuellen Immersionsarchitektur
Ort _Berlin, Wilhelmstraße, ehemaliges AUTODROM-Gelände
Nutzung _Sprache und Text: Szenische Lesungen, Diskurse, Poetry slams…
Dasjenige Architekton, das unsere Profession derzeit vielleicht am stärksten herausfordert, ist der Beitrag von Christian Kerez auf der letzten Architekturbiennale in Venedig. Seine Arbeit trägt den Titel Incidental space, was etwa zu übersetzen ist, mit: Der Raum, der vorgefallen ist. Ganz in der dekonstruktivistischen Tradition eines Peter Eisenman, der von seinen Entwürfen in dialektischer Absicht sagt, sie hätten ‚keine Basis, kein Gesetz und keinen rationalen Grund’, versucht Kerez eine Aktualisierung dieser These: Er zeigt im Schweizer Pavillon einen höhlen- oder grottenartigen Raum, der keine Logik, keine Funktion und keinen Maßstab hat. Der begehbare Innenraum ist zwar nur wenig größer als 20 qm, trägt aber aufgrund der völligen Autonomie zum unmittelbaren Umraum, ähnlich wie Friedrich Kieslers damalige ‚Endless House’-Experimente, eine Unendlichkeit in sich. Ein solch radikales Experiment steht im größtmöglichen Gegensatz zu Vitruvs, uns immer noch vertrautem, Diktum, dass Architektur durch drei Prinzipien gekennzeichnet sei: Firmitas, Utilitas, Venustas (Festigkeit, Nützlichkeit, Anmut).
Warum berührt uns dieser scheinbar autoren- und ziellose Ansatz gleichwohl? Weil er mitten ins Zentrum einer zukünftigen bzw. zukünftig vor- und herstellbaren Architektur vorstößt: Wenn derart viele, angeblich stabile, vernünftige und von einer Effizienzlogik kontrollierte Planungen unsere Städte doch nicht lebenswerter machen, dann ist es wohl an der Zeit, andere Strategien zu erproben: Unser Projekt fragt danach, welche nicht-positivistischen, nicht-affirmativen nicht-hierarchischen Methoden angewandt werden können, um neue Räume, neue Raumvorstellung zu entwickeln. Dies scheint erst einmal den Naturgesetzen bei der Herstellung von Räumlichkeit zu widersprechen und eine radikale KONTINGENZ (Nicht-Notwendigkeit) in den Entwurfsvorgang einzuführen. Unser gedanklicher Ansatz lautet: DER RAUM KÖNNTE AUCH ANDERS SEIN, und die Begrifflichkeiten, die Agenten, die Operatoren, die wir dabei einsetzen und zulassen sind: Zufall, Wahrscheinlichkeit, Formwerdung und Formentzug, Fehler, kurzum: Kontingenz.
Ganz beiläufig drehen wir damit auch die uns vertraute Zeitachse um: Die Parameter des Handelns kommen nicht mehr aus der Vergangenheit oder aus der Tradition der Profession, die Zeit kommt uns aus der Zukunft entgegen. In der Konsequenz heißt das: Derartige Räume sind nicht mehr ästhetisch zu fassen oder zu beurteilen, sondern sie werden zu Generatoren einer fortgesetzt das Unvertraute hervorbringenden Raumproduktion.
Entwurfsmethode
Wir konzentrieren uns vorwiegend auf eine Entwurfsmethodik, die gestalt- und raumbildende Prozesse auslöst, ohne sie a priori völlig kontrollieren zu können. Wir entwickeln dabei sukzessive einen immersiven Innenraum, den wir in Serien von Material- und Raummodellen experimentell entwickeln. Die oben skizzierten, spekulativen Entwurfsverfahren werden dabei angewandt. Die Erwartung, die wir an dieses Verfahren haben ist, dass sich damit komplexe, sehr erzählerische, möglicherweise auch überdeterminierte oder rätselhaft poetische Innenräume finden lassen, die sich einer vollständigen logischen Erklärung verweigern, die sich selbst zum Thema haben, die Rätsel bleiben; Die uns unentwegt herausfordern, sie mit Sinn zu belegen.
Entwurfsziel ist die Entwicklung eines atmosphärisch dichten, polysensuellen Ereignis- und Veranstaltungsraumes (ca. 400 Zuschauer), in dem vorwiegend Text und Sprache stattfindet, also Dichterlesungen, szenische Lesungen, offene Diskurse, Poetry-Slams etc., sowie alle zukünftigen performativen Events, die erst entstehen, weil es diesen immersiven , ja dionysischen Raum des Kontrollverlustes gibt in Berlin. Das Raumprogramm beinhaltet alle notwendigen Nebenräume und hat ein Gesamtvolumen von ca. 3000 qm. Der Dialog zwischen der sprachlich-lyrischen und der ausdifferenziert-imperfekten, scheinbar vorgefundenen Poetik des Raumes interessiert uns.
Entwurfsort ist eine der wenigen Brachflächen im Zentrum Berlins, Wilhelmstraße, Ecke Anhalter Straße. Die letzte aktive Nutzung dieser Fläche war das sogenannte AUTODROM, ein Übungsgelände zum Fahren ohne Führerschein, das in den 80er Jahren von ‚Straps-Harry‘ betrieben wurde, einem damals stadtbekannten Travestie-Künstler. Reste dieser Anlage sind noch heute vor Ort zu finden. Aufgrund der Fokussierung auf ein vorwiegend innenräumlich-atmosphärisches Entwurfsthema ist es denkbar, dass Teile des Entwurfes ins Terrain eingegraben werden, Stichwort: Underground architecture. Damit könnte der vergessene, aus der Zeit gefallene, anarchistische Ort und dessen wildgewachsenes Robinienwäldchen weitgehend erhalten werden.
Directed by: Prof. Matthias Karch with Prof. Folke Köbberling