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ARCHITECTURAL DESIGN | Master Thesis Project Ein ZKM Für Berlin
Physisch-digitale Raumkonzepte im Zeichen der Immersion
Wahrnehmung ist Realität
Vor einiger Zeit standen vor dem Bauhaus in Dessau ein paar Leute, die auf einen Gesichtsscanner starrten. Berührten die Besucher mit ihren Händen ihr eigenes Gesicht, wurden die angefassten Teile auf eine Großleinwand übertragen: Wischten sie sich über die Wange, erschien ihre Wange auf dem Screen, zeichneten sie mit dem Finger ihre Augenbraue nach, erschien diese – es war, als wäre ihr Gesicht selbst die Leinwand, auf die sie malten. Kaum berührte man die Lippen, erschienen sie in Echtzeit als Bild, ganz so, als wollte man mit neuester Technologie den Übertragungsverlusten der Kunst auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel ein Ende machen. Was die neue Bewegung der Virtual Reality-Kunst eint, ist ihr Verhältnis zum Körper ihres Rezipienten, der eben nicht mehr nur „Betrachter“ sein soll, sondern das Werk mit dem ganzen Körper und nicht bloß mit dem Auge erfährt: Man malt z.B., indem man sein Gesicht anfasst, man betritt mit einer VR-Brille auf dem Kopf eine imaginäre Welt, die einem intensiver erscheint als die echte – auch weil einem ein Ventilator heftigen Wind entgegenbläst, während die VR-Brille den Blick von einem Hochhaus zeigt. Der Körper reagiert dabei energischer, als der Verstand gegensteuern kann. Dem klassischen „Trompe-l’œil“ folgt jetzt das „Trompe-corps“. (N. Maak)
In diesem Kontext fragt der Wissenschaftsphilosoph Peter Godfrey-Smith, inwieweit wir Menschen ein zweites, nicht-hirnzentriertes Bewusstsein ausgebildet haben. Die digitale Bildwelt ist womöglich ein derartiger Fall: Sie löst heftigere Reaktionen aus als eine reale Erfahrung von Gefahr. Die Erinnerung an ein Erlebnis im virtuellen Raum ist oft intensiver als die an einen realen Unfall. So kann auch die Traumabewältigung amerikanischer Soldaten, die im Irakkrieg in Kampfhandlungen auf Leben und Tod verwickelt waren, mit „Serious Games“ (vgl. dazu: Haroun Farockis Filme), das sind einfachst gestaltete Videogame-Animationen, nacherlebt und das Trauma damit beherrschbar gemacht werden. Auch die bemerkenswerten Arbeiten der Gruppe „FA _Forensic Architecture“ überlagern realphysische Raumpraktiken mit medial simulierten: FA trägt mithilfe dieser Verfahren entscheidend zur Aufklärung von Kriegshandlungen in Syrien oder zum Aufdecken der Widersprüche im Kontext der NSU-Morde bei.
Hybride Räume
Während die fortschreitende Urbanisierung die materiellen Strukturen der physischen Welt stetig verändern, erschafft der unaufhaltsame Prozess der Digitalisierung aller Funktions- und Lebensbereiche eine Metastruktur, deren prägender Effekt vielfach unsichtbar bleibt. Das alltägliche städtische Leben spielt sich in diesen zwei Welten ab. Dabei ist die Aufrechterhaltung der physischen Existenz der Stadt ohne die digitale Steuerung nicht mehr denkbar, sei es der Betrieb der städtischen Infrastruktur, sei es das Geschäftsleben mit der Waren- und Geldzirkulation oder seien es private Kommunikationsstrukturen und soziale Netze.
Wir fragen bei dieser Thesis: Wie lassen sich neuartige, hybride Räume und Prozesse an der Schnittstelle von digitalen und physischen, privaten und öffentlichen Aktivitäten entwerfen? In welcher Weise lassen sich Öffentlichkeit, öffentlicher Raum und Architektur mit fortschreitender Technologisierung verwandeln. Wie verändern sich Vorstellung und Praxis von Öffentlichkeit (und Privatheit), wenn alle Funktions- und Lebensbereiche von digitalen Codes kontrolliert und erzeugt werden? Welche Bedeutungen und Funktionen hat der öffentliche Raum, wenn er zu einer vernetzten, künstlichen, intelligenten Umwelt wird, wenn sich physische und digitale Räume in einem „phygitalen Environment“ verbinden?
Ein ZKM für Berlin
Bisher hat das ZKM, das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe, das im Jahr 1989 gegründet wurde, im kulturellen und Ausstellungskontext ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland zu dem Thema, welche Veränderungen das Digitale für unser Verhältnis zu dem, was wir Wirklichkeit nennen, mit sich bringt. Unter Zuhilfenahme von performativen, narrativen und räumlichen Mitteln geht man dort diesen hochaktuellen Fragen nach. Aus Kostengründen konnte damals allerdings kein Neubau realisiert werden, obwohl es programmatische Vorschläge gab für eine derart hybride Architektur (Koolhaas, Tschumi u.a.). Das ZKM zog in die leerstehenden Hallen einer ehemaligen Munitionsfabrik ein. Diese sind zwar riesengroß, allerdings entstanden sie 1918 als klassische Industriearchitektur. So bespielt das ZKM zwar die aktuellen Themen, tut dies aber in Räumen der vordigitalen Zeit, nämlich der industriellen Revolution. Diese konzeptionelle Schwäche kann ein „ZKM für Berlin“, geplant als Neubau, beheben.
Wir konzentrieren uns auf die Frage, wie eine Architektur aussehen könnte, die sich explizit und raumbildend mit dem Phänomen des Digitalen, mit Fragen der der Immersion und der Fusion von physischen und simulierten Environments befasst.
Gesucht ist eine interaktive Behandlung des Verhältnisses von Raum und Information, von Körper - Bewusstsein - Bild - Raum und Zeit. In das Gesamtkonzept integriert werden auch Räume, die den (Projektions-) Anforderungen der Immersion entsprechen, wie z.B. Full Dome, Half Dome, Cylindrical projection space, Cave, Flight simulation space usw.
So wird das „ZKM für Berlin“ nicht nur zu einem medialen Großsimulator, sondern auch zu einer Schnittstelle von neuer räumlicher und ästhetischer Erfahrung, von Bildtechnologie, Neurowissenschaft und Erkenntnistheorie.
Europacity
Das Gebiet an der Heidestraße in Berlin – jahrzehntelang ein Niemandsland zwischen Ost und West und geprägt durch die Berliner Mauer, Nordhafen, Containerbahnhof und Speditions-Lagerhallen – ist heute eines der zentralen Zukunftsgebiete der Stadt. Es zählt aufgrund seiner herausragenden zentralen Lage, der besonderen Erreichbarkeit durch den Nah- und Fernverkehr sowie der Attraktivität für die sich im Umfeld des „Museums für Gegenwart Hamburger Bahnhof“ etablierende Kunstlandschaft zu einem der interessantesten innerstädtischen Räume. Unser Baufeld befindet sich am äußerst nördlichen Rand der Europacity und bildet als städtebaulicher End- und Hochpunkt den vorläufigen Abschluss und dieses Stadtquartiers nach Norden.
Coaching by: Prof. Matthias Karch & Nicolai Schlapps
Examiner: Prof. Matthias Karch
Co-examiner: Prof. Folke Köbberling
Student work by: Darja Moehlmann, Sara Moeller